Kurzführung durch die Sonderausstellung „Verrückt nach Ton. Keramik aus sieben Jahrzehnten“
Das Jahr 2007 war für die Sammlung des Museum für Angewandte Kunst Gera von herausragender Bedeutung. Das Ehepaar Ingrid und Werner Welle aus Paderborn stiftete der Institution ihre kunsthistorisch wertvolle und repräsentative Privatsammlung nationaler und internationaler zeitgenössischer Keramik. Diese Zuwendung besaß große Relevanz für die Profilbildung des Hauses. Porzellan und Gefäßkeramik des Jugendstils, Art déco, Bauhauses, ebenso wie Gebrauchs- und Studiokeramik der DDR formten bereits zuvor einen Grundpfeiler der Museumssammlung. Die Stiftung des Ehepaares Welle ergänzte und erweiterte das Sammlungsfeld. Erstmals konnte in Thüringen nun ebenfalls die Entwicklung der westeuropäischen Keramik seit den 1950er-Jahren aufgezeigt werden.
Die Objekte der Sammlung Welle veranschaulichen die Abkehr von der reinen Gebrauchsfunktion und eine Öffnung der Keramik hin zur freien Kunst. Mit der Sonderausstellung »Verrückt nach Ton« wird Moderne Keramik in einer faszinierenden Breite vorgestellt. Der Einfluss japanischer und chinesischer Werkstücke ist ebenso zu erfahren wie die Gestaltung künstlerischer Gefäßkeramik. Ende des 20. Jahrhundert entstanden zunehmend abstraktere Objekte bis hin zur Fertigung von Plastiken. Aus allen Arbeiten spricht eine besondere Wertschätzung für die Materialeigenschaften des Tons – für Farbe, Härte und Textur.
Neben handgedrehten Porzellanarbeiten sind in den Räumen des Museums Steinzeug- und rauere Anagama-Keramiken vertreten. Letztere werden über mehrere Tage hinweg im holzbefeuerten Ofen gebrannt, wobei Mineralien aus Holz und Glut zufällige Ablagerungen bilden. Experimente mit Glasur- und Brenntechniken bestimmen das vielfältige Erscheinungsbild der ausgestellten Werke. Farbverläufe, Tropfen-, Kristallbildungen sowie figurative Malerei und Collagetechniken gestalten die Oberflächen. Thematisch werden Gedanken an die Zerbrechlichkeit und die stete Veränderung von Mensch, Kultur und Gesellschaft angesprochen.
Den Objekten der Sammlung Welle stehen in der Ausstellung Positionen von sechs aktuell in Deutschland tätigen Keramikerinnen und Keramikern gegenüber. Aus ihnen sprechen die fortwährende Strahlkraft der älteren Arbeiten und zugleich ein wiederholter Wandel. Neue technische Möglichkeiten und globale Einflüsse wie jene der amerikanischen Keramikszene und des 3-D-Drucks finden Eingang. Die Kunstwerke variieren in Maßstab, Ausführung und Technik. Sie behandeln Themen, die von Naturschönheit, Bezügen zum Alltagsleben, zu Familie und Freundschaft sowie dem Umgang mit Traditionen reichen.
„Verrückt nach Ton“ zeigt Werke von u. a. Lucie Rie, Hans Coper, Gilbert Portanier, Gertraud Möhwald, der Gruppe 83 sowie von Nora Arrieta, Ute Kathrin Beck, Martin Neubert, Sarah Pschorn, Rosi Steinbach und Ernie Wang.
Bild: Lucie Rie, Vase, 1960, Foto: Marcus Rebhan